TRAININGS FÜR BERÜHRUNG
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DEEP TOUCH BLOG

LIEBESERKLÄRUNG AN DEN SCHLAMM – WO DER LOTUS WÄCHST UND BLÜHT

Vor kurzem hat ein friedvoller Krieger des Lichts, der Liebe und des Mitgefühls seinen irdischen Körper verlassen. Am 22. Januar ist Thich Nhat Hanh gestorben. Er ist 95 Jahre mit uns gereist. Diese Rundmail schreibe ich in großer Hochachtung für die Essenz seines langen Wirkens und der Schätze, die er uns als Vermächtnis hinterlassen hat. Als eine Hommage und ein Vorbild für das, was ich auf meinem Weg mit DEEP TOUCH in die Welt bringen möchte.

Thich Nhat Hanh sagt: "Go back and take care of yourself. Your body needs you, your feelings need you, your suffering needs you to acknowledge it. Go home and be there for all these things."Diese Worte haben eine tiefe Resonanz zu meiner langen Suche, zu Hause bei und in mir anzukommen, im Anerkennen dessen, was mein Körper, meine Gefühle und auch mein eigenes Leiden brauchen. Meine Sehnsucht nach COMING HOME spiegelt sich darin.

Wenn Thich Nhat Hanh von DEEP LISTENING spricht, kann ich darin die grundlegende Qualität eines tiefen Lauschens wiedererkennen, die mir so wichtig in meiner Arbeit ist, und welche ich immer weiter in mir und in meinem Wirken verfeinern und vertiefen möchte. In Resonanz dazu möchte ich auch mit DEEP TOUCH immer mehr ein lauschendes Berühren und ein berührendes Lauschen in die Welt tragen.

Wenn Thich Nhat Hanh sagt "When you love someone, you have to offer that person the best you have. The best thing we can offer another person is our true presence", erkenne ich darin das Geschenk, mich von einem anderen Menschen wirklich wahrgenommen und angenommen zu fühlen – zutiefst gesehen und gehört. Ich erkenne, wie wichtig wahre und unmittelbare Präsenz dafür ist. Es ist das Beste, was ich geben kann, wenn ich einen Menschen liebe. Es ist der größte Schatz, den ich verschenken kann. Genau so ist DEEP TOUCH gemeint, als ein Raum von Berührung, Achtsamkeit, Bewusstheit und Präsenz. Als ein Raum von LIEBE.

Wenn Thich Nhat Hanh „no mud – no lotus" sagt - und mit dem Schlamm das eigene Leiden und mit dem Lotus das eigene Licht und das Erblühen von Mitgefühl und Liebe meint, berührt mich das ganz tief. Ich erkenne darin das Eintauchen in meinen eigenen Leidens-Sumpf - und kann es nun besser als den Nährboden für mein Licht, meine Liebe und mein Mitgefühl erkennen. Immer wieder versinke ich in Schmerz und auch Verzweiflung. Und in diesem Versinken, in der  Dunkelheit liegt zugleich eine tiefe Kraft, die ich zunehmend mehr als solche wertschätzen kann.

Wenn Thich Nhat Hanh dies ausführlicher so beschreibt mit den Worten „Everyone knows we need to have mud for lotuses to grow. If you don't have mud, the lotus won't manifest. You can't grow lotus flowers on marble. Without mud, there can be no lotus", verstehe ich immer mehr, warum ich bisher so oft und so intensiv in meinem Leben in die Tiefe meines Schmerzes eingetaucht bin. Warum dies ein Teil meiner lebenslangen Suche nach der Essenz darin ist, um den Schatz darin finden zu können. Um endlich anzukommen. Dass dieses Eintauchen zugleich der Dünger für mein Wachsen ist. Mir wird bewusst, dass mein Leid und meine Liebe zwei Seiten derselben Medaille sind. Und ich verstehe immer besser, dass die spiegelglatte Oberfläche von poliertem Marmor zwar das Licht reflektieren kann - Liebe, Wärme und Empathie aber auf kaltem Marmor nicht wachsen und gedeihen können, sondern es dafür auch die Prozesswärme im eigenen Sumpf braucht. Gerade auch, um andere Menschen in ihrem Sumpf besser wahrnehmen zu können. Um Mitgefühl für das Leid anderer empfinden zu können, weil ihr Leiden in Resonanz geht zu meinem eigenen Schmerz. Um ihnen ein lauschendes Ohr anbieten und um ihnen eine haltende Hand reichen zu können.

Ich kann die tiefe Wahrheit in Thich Nhat Hanhs Worten erkennen, wenn er sagt: "Suffering has its beneficial aspects. It can be an excellent teacher." Ich sehe und erkenne, wo ich selbst damit stehe – oft und immer wieder am Anfang. Es braucht noch ein Stück Weg, um dies im Sinne eines wirklichen "beginners mind" als eine stabile spirituelle Praxis zu verkörpern. Um das Immer-Wieder-Neu-Beginnen-Dürfen als einen Segen und nicht als einen Fluch anzusehen. Um es als eine beständige Möglichkeit des Lernens zu begreifen, um das Potential des Wachsens darin zu sehen. Um das Leben selbst und den Alltag als meinen größten Lehrer und meine größte Lehrerin anzuerkennen.  "Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am Nächsten" hat Rio Reiser dies besungen. Wenn ich die Nacht nicht als das Ende, sondern als den Anfang von etwas Neuem betrachten kann, ändert sich der Blick auf die Dunkelheit - und ich verstehe, dass das Licht die Dunkelheit braucht, um sichtbar zu werden.

Was ich im letzten Jahr sehr klar und nochmals sehr schmerzhaft erfahren habe, dass es nicht funktioniert, den Lotus zu schnell zum Erblühen bringen zu wollen. Wachstum braucht Zeit, Kontinuität und Rhythmus. Dass ein emotionales „Umher-Quirlen" im Sumpf dem Wachstum und dem Sich-Entfalten der Lotusblüte nicht förderlich ist, sondern schadet. Die Wurzeln des Lotus können sich nur dann in der Tiefe verankern, wenn der Untergrund tief ist und in sich ruht. Nur dann kann aus der Tiefe und aus dieser Ruhe eine Kraft aufsteigen und der darin liegende Schatz entdeckt und geborgen werden. Erst dann können tiefe Transformationsprozesse gedeihen und sich an der Oberfläche entfalten. Dann kann durch eine bewusste Verankerung in der Tiefe des eigenen Schmerzes die Knospe des Mitgefühls wachsen und als Lotus erblühen. Dann kann Heilung geschehen.

Je mehr mich das Licht, die Lehre und die Liebe von Thich Nhat Hanh erreicht, umso klarer kann ich auch meine eigenen Schatten erkennen in diesem Strahlen. Ich kann die eigenen unbeleuchteten Stellen, die Fallgruben sehen, die ich bisher noch nicht erkannt hatte, die mich immer wieder stolpern und hinfallen lassen, weil sie im Dunkel meiner Unbewusstheit liegen. Dieses Stolpern und Hinfallen fühlt sich immer wieder auch wie ein Scheitern an. Es braucht ein tiefes Vertrauen, es braucht diese tiefe Kraft, den Dünger aus der Tiefe, um das, was geschieht, in der darin liegenden Sinnhaftigkeit und der ganz eigenen Schönheit erkennen zu können. Der Satz von Thich Nhat Hanh „The mud doesn't smell so good, but the lotus flower smells very good." verstehe ich als eine liebevolle Metapher, aus dem eigenen Morast aufzustehen. Gerade dann, wenn dieses Wieder-Aufstehen so schwer fällt, gerade dann, wenn es mir am meisten stinkt. Um weiter zu lernen, um beim nächsten Mal verbundener und mehr im Kontakt mit mir bleiben zu können. Es erinnert mich daran, mich so klar in mir und mit mir zu verwurzeln, damit ich nicht mehr so tief versinke. Damit mich meine Wurzeln stabil im Schlamm halten, damit ich an ihnen wachsen  kann. Damit ich mich an ihnen aus- und aufrichten kann, um tief verwurzelt auch im sumpfigen Teil des Lebens stehen zu können - damit mein Wirken an der Oberfläche als Licht in die Welt strahlen und als Lotus erblühen kann.

Der Anker dafür ist mein Atem - in jedem Moment. EINATMEN - AUSATMEN. Wirklich ganz und voll präsent zu SEIN - mit jedem Atemzug. In der vollen Schönheit, der vollen Strahlkraft, dem hellsten Licht, der größten Freude und der intensivsten Ekstase. In der tiefsten Nacht, im größten Schmerz, in der tiefsten Verzweiflung. Bewusst verbunden mit diesem Rhythmus des Lebens. Um aus dieser Verbundenheit mit dem Atem ganz und voll präsent in mir und meinem SEIN anzukommen. Dann kann ich andere Menschen in ihrem SEIN wahrnehmen und ihnen darin begegnen. Aus einer tiefen Akzeptanz mir selbst gegenüber kann dann ein tiefes Annehmen meines Gegenübers erwachsen. In gegenseitiger Begegnung kann dann Miteinander und Gemeinschaft entstehen.

Seit zwei Jahren scheint sich die Welt im Außen in eine völlig andere Richtung zu drehen. Nicht in Richtung von mehr Verbundenheit, mehr Gemeinschaft und mehr Miteinander, sondern in ein zunehmendes Unverbundensein, Gegeneinander, in eine tiefe Spaltung. Vieles vom dem, was kurz zuvor noch sicher und stabil erschien, scheint wegzubrechen und zu versinken. Die Zukunft ist nicht planbar, die Sicherheit im Außen, die bisher so gewiss und verlässlich erschien, wird nun als Illusion erkennbar. Vieles löst sich auf und steht nicht mehr zur Verfügung. Charles Eisenstein spricht in seinen Büchern diesbezüglich vom "Zeitalter der Separation", in dem sich die Menschheit schon seit sehr langer Zeit befindet und sich immer weiter in dieses hineinbewegt. Das, was Charles Eisenstein als "separation", als einen Zustand von tiefem Getrenntsein beschreibt, scheint sich gerade nochmals zu beschleunigen. Eines seiner Bücher trägt den Titel "Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich". Darin stellt er der "Separation" das Bild eines "Interbeing" und der Verbundenheit gegenüber. Mit diesem Bild greift er etwas auf und zeichnet es nochmal ganz anders, von dem Thich Nhat Hanh in seinen Teachings immer wieder als einem "Inter-Are" der Gegensätze spricht. Was braucht es, damit aus einer Bewusstheit über die Untrennbarkeit und gegenseitige Bedingtheit der Gegensätze im Sinne dieses "Inter-Are" ein wirkliches  INTERBEINGentstehen kann? Mit mir, mit anderen, mit "Gaia", mit diesem wundervollen, lebendigen Planeten? Eine Verbundenheit, die mein Herz schon kennt und die ich wieder darin finden kann, wenn ich ihm lausche und es sprechen lasse.

Was hat das, was wir seit zwei Jahren als Corona-Krise erleben, mit unserer Wahrnehmung zu tun? Was nehmen wir wann und wie wahr? Wie kann es sein, dass alle unterschiedlicher Meinung sind und zugleich alle davon überzeugt sind, die Wahrheit zu kennen und Recht zu haben? Thich Nhat Hanh sagt: "The fear, the anger and the dispair is born on the ground of wrong perceptions concerning ourselves and the other person. And this is the foundation of conflict and war and violence." (Die Angst, der Ärger / die Wut und die Verzweiflung werden (sind) geboren auf dem Boden von falschen Wahrnehmungen uns selbst und anderen Menschen gegenüber. Dies ist die Grundlage für Konflikt(e) und Krieg und Gewalt.) Was hat das, was uns auf kollektiver Ebene begegnet, die Angst vor dem Virus, die gegenseitigen Vorhaltungen, die Wut und die Ohnmacht in dem, was wir erleben, mit unserer Wahrnehmung von uns selbst und von anderen zu tun? Was von dieser Wahrnehmung spiegelt sich als klares Bild in uns - und was steigt als Faulgas aus dem Schlamm des Unbewussten hervor, wirft Blasen und verzerrt dadurch den Blick auf die Oberfläche? Was aus dem riesigen Pool von Informationen nehme ich wahr - was nehme ich nicht wahr, obwohl es als Information in Raum vorhanden ist? Was sind die Ursachen? Nach welchen Kriterien entscheide ich? Was wähle ich gezielt aus, was filtere ich bewusst aus? Was nehme ich  gar nicht erst wahr, weil mein Nerven- und Wahrnehmungssystem es schon vorher ausgesiebt hat? Welche uralten Glaubenssätze und Grundüberzeugungen prägen meine Wahrnehmung? Welche grundsätzliche Sicht habe ich auf mein Dasein? Wie bin ich in diesem Leben gelandet? Wie war meine Geburt, wie war der erste Augenblick des Ankommens? Habe ich mich willkommen und angenommen gefühlt, war der Raum sicher und hat mich getragen, hatte ich genug Körperkontakt? Oder wurde ich weggelegt direkt nach der Geburt, habe ich mich alleine und verlassen gefühlt, ganz auf mich gestellt? Wie prägt dieses erste "Imprinting", wie es Willi Maurer in seinem Buch "Der erste Augenblick des Lebens" nennt, bis heute unbewusst meine Sicht auf mein Leben und meine Wahrnehmung?

Wenn ich die Krise, in der wir uns seit zwei Jahren befinden, in ihren eigentlichen Ursachen auch als Teil von mir selbst erkennen kann, fällt es mir leichter, mich konstruktiven und mehr mit dem Leben verbundenen Möglichkeiten zuwenden. Um Lösungen für die herausfordernden globalen Probleme in einer zunehmend schneller und komplexer werdenden Welt zu finden, könnte es ratsam sein, nicht noch schneller und hektischer zu agieren, sondern die Lösungswege langsam zu beschreiten. Es könnte wichtig sein, nicht sofort zu re-agieren, sondern achtsam, bedacht und immer bewusster zu handeln. Dazu braucht es ein Nervensystem im grünen Bereich und nicht eines, was sich permanent im orangen oder roten Bereich, nahe am Anschlag und im Dauerstressmodus befindet. Was braucht es, um das Geschehen in und um uns zu beruhigen, zu entspannen und zu entschleunigen? Wie kann ich, wie können wir unsere Wahrnehmung schulen und immer mehr verfeinern, um Fehldeutungen, um "wrong perceptions", von denen Thich Nhat Hanh spricht, immer mehr zu reduzieren? Um mit unserem Wahrnehmen immer mehr das, was wirklich ist, erfassen zu können, um diesem immer näher zu kommen?

Vor kurzem habe ich ein wunderbares Buch von Heike Pourian gelesen. Es heißt "Wenn wir wieder wahrnehmen".  Heike ist Lehrerin für Contact-Improvisation, einer Tanzform, die viel von intensivem Körperkontakt geprägt ist. Sie beleuchtet Wahrnehmung nochmals anders als Thich Nhat Hanh und betrachtet dies aus einer somatischen und physiologischen Sicht. Mich berührt dieses Buch und ich finde viele Aspekte meiner eigenen Arbeit darin wieder. Dieses Buch ist aus einer sehr persönlichen Perspektive geschrieben, dadurch erreicht es mich auf eine ungewöhnliche Weise. Es spricht meine Sprache. Ich erkenne mich auf meinen eigenen Berührungsweg wieder. Mit großer Dankbarkeit und Wertschätzung habe ich das Buch gelesen. Heike beschreibt eine Möglichkeit, sich nicht im Schlamm, sondern sich im Sinne eines friedlichen politischen Aktivismus stehend mit der Erde zu verwurzeln. Sie nennt dies "Standing with the earth".

Für mich sind Berührung, Wahrnehmung und Bewusstheit hoch aktuelle und auch politische Themen. Und genau so sehe ich mich auch mit DEEP TOUCH in dieser Zeit und in dieser Welt. Nie war Berührung, nie war Körperarbeit, nie waren Bewusstseins- Heil- und Transformationsräume wichtiger als heute.

Deshalb tue ich diese Arbeit von ganzem Herzen, auch wenn es manchmal mühsam, frustierend und schmerzhaft erscheint. Und sich das Ganze dann noch nicht wie ein warmes, heilsames Moorbad, sondern eher wie ein Suhlen im gemeinsamen Dreck anfühlt. Aber das wird schon noch. Je länger und je tiefer wir tauchen und je mehr Schätze wir im Schlamm entdecken, ihm entlocken und dann gemeinsam heben, desto zuversichtlicher werde ich dabei.

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Ulrich Grahner

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